Digitale Bildungsseminare in den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung
„Digitale Bildungsseminare? Corona ist doch vorbei. Jetzt kann doch wieder echte Begegnung in Präsenz stattfinden.“ Seufz! Bei den Worten „digitale Bildung“ kommt in der kollektiven Erinnerung sofort Corona hoch. Und vorzugsweise all das, was damals nicht geklappt und die soziale Kluft vergrößert hat. Und was viele Menschen möglichst schnell vergessen wollen.
Die Idee zu mehrtägigen Bildungsseminaren, die ausschließlich digital stattfinden, entstand allerdings bereits vor der Pandemie − in der AG Inklusion der Freiwilligendienste Kultur und Bildung. Und zwar vor dem Hintergrund, „echte Begegnung“ und ein Bildungsangebot für alle zu ermöglichen, also auch für Freiwillige*, die aus verschiedenen Gründen nicht an Präsenzseminaren teilnehmen können oder wollen.
Lara, die als Freiwillige* in der Stadtbibliothek Menschen allen Alters für Lesen und Literatur begeistert, kennt beide Welten. Auf ihr erstes Bildungsseminar in Präsenz hatte sie sich gut vorbereitet: Mit ihrem Träger hatte sie abgesprochen, was für sie erforderlich ist, um an einem Seminar teilnehmen zu können. Die Umsetzung durch das Tagungshaus hat dennoch leider nicht funktioniert. Ihre pädagogische Begleitung beim Träger und Lara sind zu dem Ergebnis gekommen, dass auch für die weiteren Seminare die Rahmenbedingungen nicht besser sein werden. Beim digitalen Seminar hingegen fielen die Barrieren weg: „Dadurch konnte ich wirklich in diese Lernzone kommen, mich auf die Inhalte konzentrieren und war nicht die ganze Zeit von der Sorge abgelenkt, ob jetzt wohl alles klappt“, erzählt Lara begeistert.
Trotzdem dabei
Rückzug ist erlaubt. Alena E. Lyons und Vera Mai, die Leiterinnen der Seminare, beziehen von vornherein mit ein, dass Freiwillige* aus verschiedensten Gründen manchmal einen Rückzugsraum brauchen. „Das Ziel ist, dass wir mit einer möglichst großen Rücksichtnahme, die digital auch gut funktioniert, miteinander arbeiten und wir uns sehr darum bemühen, Bedürfnisse von den Freiwilligen* ernst zu nehmen“, erklärt Alena. Es kann zum Beispiel sein, dass jemand zwischendurch mal die Kamera ausmachen muss. Der große Vorteil des Digitalen: Keine Person wird dadurch ausgeschlossen. Wer in Präsenz einen Raum verlässt, ist raus, hat nicht mehr teil am Geschehen und verursacht unter Umständen eine Störung. „Angenommen, ich hätte meine Periode und müsste mich ins Bett legen, weil es gerade einfach weh tut, dann kann ich mir im Digitalen ein Kissen in den Rücken legen, meinen Computer neben mich stellen und bin trotzdem dabei“, erläutert Vera. Lara kann den Ansatz bestätigen: „Gerade das mit den Kamerapausen fand ich wirklich sehr toll. So konnte man bei Themen, die einem vielleicht noch schwerer fallen, die Kamera ausmachen und sich darauf konzentrieren, die Aufgabe zu machen und nicht darüber nachzudenken: ‚Was denken jetzt die Anderen?‘ oder ‚Schaue ich komisch, weil ich mich konzentriere?‘ Das fand ich wirklich sehr gut gelöst.“
Türen im Kopf öffnen
Der hohe Grad an Selbstbestimmung im digitalen Raum sorgt für Offenheit und eine Dynamik des Lernens. Gerade wenn es um Themen geht, die potentiell herausfordernd sind. Wenn im Seminar beispielsweise Identität und die Auseinandersetzung mit Diskriminierungsformen behandelt werden, dann kommen Personen mit unterschiedlichen Erfahrungswelten zusammen. Alena verknüpft mit dieser Begegnung ein hohes Bildungsziel: „Dass man einerseits die Fakten dazu lernt und gleichzeitig die Perspektiven von Anderen erfährt und mit einbeziehen kann, ohne sich selbst in Frage gestellt zu sehen.“
Grundlage dafür ist eine gemeinsam vereinbarte Kultur des Fragestellens und der Neugier. Für die Seminarleitung heißt das neben dem Hereingeben von Anregungen, dem Moderieren und dem Vorleben einer Haltung der respektvollen Neugier auch zwischendurch mal die Kontrolle abzugeben, wenn Freiwillige* in eine Breakout-Session oder zu zweit auf einen digitalen Spaziergang geschickt werden.
Für Lara ist der offene respektvolle Umgang unter den Teilnehmer*innen etwas, was sie in dem Ausmaß nur digital erfahren und sie überrascht hat. „Bei den Anfangsfragen waren auch einige dabei, die etwas sehr genau waren. Da habe ich mit meiner Gruppe besprochen, dass wir über diese Fragen nicht so ausführlich reden wollen. Und das wurde von der ganzen Gruppe mitgetragen und von den Leitungen respektiert.“
Digitaler Seminarspirit
Justin, der seinen Freiwilligendienst in einer digitalen Erlebniswelt leistet und selbst Medienkurse für Kinder leitet, ist schon zum wiederholten Mal dabei. Er ist begeistert, bei den digitalen Bildungsseminaren auch Leute außerhalb des eigenen Landkreises zu treffen und in den verschiedenen Gruppen kreativ miteinander arbeiten zu können. Und er ist ein Fan der vielen lustigen Spiele und Methoden, durch die das Ganze einen hohen Spaßfaktor bekommt. Auch das machen die beiden Kursleiterinnen ganz bewusst. Kein Informations-Overload und Stoff durchziehen, sondern eine Vielfalt der Methodik – immer auch mit inklusivem Ansatz. „Wir versuchen Methoden zu finden, die möglichst ohne Einschränkung für alle funktionieren und wir legen sehr viel Wert auf Humor, sodass der Spaß nicht zu kurz kommt und man gemeinsam lachen kann“, sagt Vera. Sie freut sich, wenn auch Bildungsreferent*innen bei der abschließenden Werkschau vorbeischauen und etwas davon mitbekommen, dass es auch im Digitalen einen Seminarspirit gibt.
Denn so sehr beide Freiwillige* von den digitalen Bildungsseminaren schwärmen, so mussten sie doch auch Hürden überwinden, um überhaupt erst einmal dort zu landen. Lara ist es deswegen sehr wichtig, dass Träger und Bildungsreferent*innen von dem Programm wissen und das Digitale pro-aktiv anbieten, damit „Menschen, die Einschränkungen haben, wissen, dass es diese Möglichkeit gibt.“ Vera und Alena haben deshalb eine Sprechstunde für Träger eingerichtet, im Rahmen derer die Freiwilligen* wie Justin und Lara sich mit den pädagogischen Mitarbeiter*innen aus ihrem Bundesland treffen, auch um mehr von ihren Erfahrungen aus den digitalen Bildungstagen zu teilen.
Die digitalen Bildungsseminare werden von Vera Mai und Alena E. Lyons in Zusammenarbeit mit der BKJ e. V. und Demokratie und Dialog e. V. angeboten. Die Bildungsseminare sind nach Absprache mit dem Träger für alle Freiwilligen* in den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung in Deutschland offen.