EngagementDiversität

„Einfach erfinderisch sein, dann geht alles.“ – Freiwilligendienst mit Assistenz

von BKJ
Drei Personen sitzen an eine Hauswand gelehnt und klatschen Beifall. Sarah ist im Vordergrund zu sehen. Sie beendet gerade die Präsentation ihres eigenen Projekts.

„Schließt die Augen“, sagt Sarah zu den umsitzenden Freiwilligen*. Dann liest sie. Eine Theaterbühne erscheint vor dem inneren Auge, jetzt eine Puppe an Fäden, die von einer schwarz gekleideten Person gehalten wird. Sarah macht ihren Freiwilligendienst im Kulturamt Erlangen. Innerhalb ihres eigenes Projektes, das sie den anderen Freiwilligen* gerade mit dieser besonderen Methode vorstellt, hat sie die Konzeption einer Audio-Deskription für ein Theaterstück begleitet, das auf dem internationalen „figuren.theater.festival“ gespielt wurde.

Ein Stück mehr Inklusion
Ein solches inklusives Angebot wird mit einem darauf spezialisierten Team entwickelt – und das ist aufwendig. „Man muss unglaublich viel bedenken. Minute für Minute wird das Stück anhand eines Live-Mitschnitts durchgegangen und diskutiert, wie das Geschehen am besten beschrieben werden könnte“, erklärt Sarah. Während ihres Bachelorstudiums, das Sarah noch vor ihrem Freiwilligendienst gemacht hat, schrieb sie über Musical-Inszenierungen von und für Gehörlöse.

Naheliegend also, dass sie ihr Projekt im Freiwilligendienst nutzt, um das Theaterfestival in Erlangen ein Stück inklusiver zu machen. „Und auch, weil ich ja selbst im Rollstuhl sitze“, sagt sie. Ein Jahr arbeiten und in den Festival-Bereich reinschnuppern, das hat Sarah vom Freiwilligendienst erwartet. Und das hat sich erfüllt. Und wie inklusiv findet Sarah die Freiwilligendienste Kultur und Bildung? „Ich habe mich sehr wohl gefühlt. Aber schön wäre es, wenn der Grad der Barrierefreiheit bei den Einsatzstellen im Vorfeld besser ersichtlich wäre. Da musste ich immer ziemlich viel nachhaken.“

Voneinander und miteinander lernen im Freiwilligendienst
Für die Einsatzstelle, das Kulturamt in Erlangen, war es eine neue Erfahrung, eine Person mit Behinderung im Team zu haben. „Aber es gab überhaupt keine Schwierigkeiten oder Herausforderungen, die uns vor unlösbare Probleme gestellt hätten“, sagt Volker Holzmann, der im Kulturamt Erlangen in der Abteilung Festivals und Programme tätig ist und unter anderem die Freiwilligen* hier betreut. „Wir haben zunächst geprüft, ob wir die Voraussetzungen für Barrierefreiheit überhaupt erfüllen. Das hatte davor noch keiner gemacht.“ Aber viel gab es nicht zu klären: ein Headset zum Telefonieren und der Zugang zur barrierefreien Toilette ein Stockwerk höher musste organisiert werden. Dann konnte Sarah loslegen.

Für die Einsatzstelle ist die Unterstützung durch Freiwillige* seit drei Jahren ein fester Bestandteil. Es geht Volker Holzmann vor allem darum, Wissen aus der Kulturarbeit weiterzugeben und die Aufgaben aus dem persönlichen Interesse der Freiwilligen* entstehen zu lassen. „Insbesondere im Fall von Sarah war das äußerst gewinnbringend.“ Was Sarah begonnen hat, soll auch fortgesetzt werden. Das Team möchte sich jetzt weiterbilden, um die Abteilung auf lange Sicht inklusiver gestalten zu können. Beispielsweise sollen Stellenausschreibungen zukünftig Menschen mit Behinderung mehr berücksichtigen. „Ich kann Arbeitgeber*innen nur ermutigen, sich nicht durch Bedürfnisse, die Mitarbeiter*innen mitbringen, selbst einzuschränken“, sagt Volker Holzmann. „Das behindert nicht.“

Strukturelle Hürden überwinden
Ein Problem für Sarah und den Freiwilligendienst entstand erst dann, als es um die Frage ging, wie Sarahs Assistenz finanziert wird. Diese Fachkraft unterstützt Sarah bei allen alltäglichen Aufgaben und ermöglicht es ihr, ein unabhängiges Leben nach ihren eigenen Vorstellungen und Wünschen zu führen. „Ich bin davon ausgegangen, dass die Assistenz während meines Freiwilligendienstes weiter über den Bezirk gefördert wird“, sagt Sarah. Aber der Bezirk erklärte, er sei bei Ableistung eines Freiwilligendienstes nicht für die Förderung zuständig. Damit stand Sarahs Orientierungsjahr im Kulturamt Erlangen kurz vor dem Scheitern.

Eigentlich regelt das Bundes-Teilhabe-Gesetz die Förderung im Bedarfsfall. Mit dem Ziel, dass Menschen mit Behinderung „größtmögliche Teilhabe am Arbeitsleben erreichen“, heißt es beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Nur legen die Kostenträger das Gesetz unterschiedlich aus, jeder Fall wird einzeln behandelt, jede finanzielle Förderung neu geprüft. Bei Sarah hat es durch „Druck von oben“ dann doch noch funktioniert, erzählt sie. Viele Menschen mussten sich dafür einsetzen, dass letztlich Landespolitiker*innen ihr Gewicht zu Sarahs Gunsten in die Waagschale legten. „Aber nur weil ich die Assistenz im Freiwilligendienst jetzt vom Bezirk finanziert bekommen habe, heißt das nicht, dass die nächste Person das auch bekommt.“ Das ist ein strukturelles Problem. So viel steht fest.

Das sind Hürden für Menschen mit Behinderung und die gesellschaftliche Teilhabe für alle wird gleichermaßen erschwert. Sarah wünscht sich für die Zukunft, dass sich Menschen in Verantwortungspositionen in Politik und Verwaltung grundsätzlich mit der Thematik beschäftigen, damit das Bundes-Teilhabe-Gesetz von den Behörden tatsächlich angewendet und der Assistenzbedarf in den Freiwilligendiensten regulär gefördert wird.

 

Mehr Sicherheit durch einen offenen Umgang
Tordis Schuster von Spielmobile e. V., dem Landesträger der Freiwilligendienste Kultur und Bildung in Bayern, ist Sarahs pädagogische Begleitung und will Barrierefreiheit nun grundsätzlicher mitdenken – vor allem in Bezug auf die Seminarräume und Unterkünfte. Im Austausch mit Sarah hat sie eine Menge dazugelernt. „Vor allem, dass ich mit meiner Unsicherheit offener umgehe. Menschen mit Behinderung haben Bedürfnisse – und die muss man nicht erraten, die kann man einfach erfragen.“ Sie möchte sich auch noch stärker mit einfacher Sprache beschäftigen und Seminarangebote entwickeln, die mehr den Austausch durch Kunst und Bewegung fokussieren. Damit könnten alle Freiwilligen* besser an den Bildungsangeboten des Landesträgers teilhaben.

Die Freiwilligen* um Sarah öffnen die Augen und klatschen. Die Erfahrung, ein Theaterstück über eine Audio-Deskription zu erleben, war für alle neu und voller Erkenntnisse. Genauso wie das vergangene Jahr im Freiwilligendienst. Sarah zum Beispiel möchte vorerst weg vom Festival-Bereich. „Aber das ist ja auch sehr wichtig: Zu wissen, was ich nicht will.“ Sie plant als nächstes ihren Umzug, um in einer anderen Stadt zu studieren. „Hamburg oder Liverpool – Hauptsache wegziehen“, lacht sie. „Ich mache nebenbei noch eine Ausbildung zur Theater-Pädagogin. Ich kann dann selbst Kulturangebote für Menschen mit Behinderung anbieten.“

Schon seit einigen Jahren setzen sich die Träger dafür ein, die Freiwilligendienste Kultur und Bildung inklusiv auszugestalten. Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung und ihre Mitglieder machen sich darüberhinaus gemeinsam auf den Weg, um in ihrer Praxis, ihren Strukturen, Organisationen und Einrichtungen Inklusion umzusetzen. Das ist ein Prozess. Wenn es soweit ist, wird Sarah in der Kulturellen Bildung hoffentlich noch selbstverständlicher auf offene Türen treffen.