MagazinDiversität

Inklusion im Freiwilligendienst wird im Deutschen Spielzeugmuseum Sonneberg Realität

von BKJ

Es scheint, als hätte sich im Deutschen Spielzeugmuseum Sonneberg gefunden, was zusammengehört: Robin ist Autist und fühlt sich nach einer langen Orientierungsphase durch seinen Freiwilligendienst in der Thüringer Kleinstadt und der Arbeit im Kreis seiner Kolleg*innen endlich angekommen.

Viele würden das Aufeinandertreffen von Robin mit seinen Kolleg*innen in der Einsatzstelle wohl als ein perfektes Beispiel gelungener Inklusion bezeichnen. Doch ist das Zusammenspiel zwischen allen in der Einsatzstelle mehr ein glücklicher Zufall und für alle Beteiligten vor allem eins: ganz normal.

Seit knapp zwei Jahren absolviert Robin seinen Freiwilligendienst und hat hier einiges über sich selbst lernen können: wie er sich seinen perfekten Arbeitsplatz vorstellt, wo seine Stärken und Schwächen liegen und dass er, anders als bisher gedacht, eigentlich gut mit Menschen umgehen kann.

Den eigenen Weg gefunden

Bevor er in seine Einsatzstelle in Sonneberg kam, gab es viele Situationen in seinem Leben, die sich für ihn schwierig gestalteten, er wusste aber nie so recht warum. Ein Studium brach er ab, weil er sich u. a. in der großen Stadt nicht wohlfühlte und in Depressionen verfiel. Es folgten Maßnahmen des Jobcenters und ungewünschte Tätigkeiten wie z. B. den ganzen Tag neben anderen am Fließband stehen. Das alles entsprach nicht seinen Vorstellungen und überforderte ihn auch sensorisch.

Eines Tages dann kam die Diagnose Autismus und zum ersten Mal hatte Robin eine Ahnung davon, warum er sich in vielen Situationen so unwohl fühlte. Über eine Bekannte kam er auf die Möglichkeit, einen Bundesfreiwilligendienst im Deutschen Spielzeugmuseum zu machen: „Ich habe seit der Diagnose vor zehn Jahren eigentlich immer nur versucht, mich durchzuhangeln und etwas zu finden, wo ich gut unterkommen kann. Wo ich auch die Möglichkeit habe, meine Stärken zu zeigen“, erzählt Robin.

In der Einsatzstelle ist er in der Sammlung tätig und dort für die Digitalisierung der rund 100.000 Inventarkarten zu den Museumsobjekten zuständig. In akribischer Arbeit finden sie so von den bisherigen Karteikarten ihren Weg in eine übersichtliche digitale Datenbank – eine Tätigkeit, die ihm besonders liegt und gefällt. Hier kann er in Ruhe arbeiten und seine Computerkenntnisse zur Anwendung bringen.

Mit dem Thema Autismus ist Robin von Beginn an offen im Kollegium umgegangen. Schon bei der Anmeldung für seinen Freiwilligendienst hat er die Einsatzstelle darauf hingewiesen und seine Kollegin Manuela Müller findet, das war auch der richtige Weg. Glücklicherweise hatten die Mitarbeiter*innen keinerlei Vorbehalte und gingen sehr offen und neugierig auf ihren neuen Kollegen zu: „Robin hat das damals gleich in seine Bewerbung geschrieben. Vor allem hat er uns aber auch die Möglichkeit gegeben, Fragen zu stellen. Deshalb sind wir auch alle ganz normal damit umgegangen und es gab für keinen von uns irgendwelche Vorbehalte“, berichtet sie.

Voneinander lernen

Im Kennenlernprozess merkten dann beide Seiten schnell, welche Situationen Schwierigkeiten hervorrufen oder welche Dinge zu Robins Tätigkeiten gehören können und welche nicht. Das bedeutet für ihn im Arbeitsalltag vor allem, dass er gern in Ruhe am Computer arbeitet und nicht viel mit Publikumsverkehr in Berührung kommen möchte. Denn in der Vergangenheit hat Robin gelernt, dass es oft der Kontakt mit großen Menschengruppen war, der ihm psychisch zu schaffen gemacht hat: „Das ist auch für mich weiterhin ein Lernprozess und ich kann nicht sagen, in welcher Form der Autismus sich bemerkbar macht, aber das was ich wusste und bereits durch meine Erfahrungen gelernt habe, habe ich auch versucht weiterzugeben. Darauf ist im Team auch wirklich gut reagiert worden“, sagt Robin.

Sowohl er als auch das Team können deshalb inzwischen gut einschätzen, welche Situationen und Tätigkeiten eine Herausforderung darstellen. Im Gespräch mit ihm und seiner Kollegin ist zu spüren, dass im gesamten Team eine gute Kommunikation herrscht und es ein offenes und vertrauensvolles Miteinander gibt. Sie haben gelernt, aufeinander zu achten und Rücksicht zu nehmen.

Eine besondere Erkenntnis hat Robin während seines Freiwilligendienstes deshalb auch mitnehmen können: „Was ich definitiv gelernt habe, ist, dass ich die Arbeit mit anderen Menschen nicht grundsätzlich schlecht finde. Beruflich und privat hatte ich immer den Eindruck, mit mir und Menschen klappt es einfach nicht. Und dann habe ich hier festgestellt, dass das nicht ganz stimmt, denn hier im Team fühle ich mich wirklich sehr wohl.“

Der Mensch im Vordergrund

Da das Zusammenspiel zwischen allen Beteiligten von Anfang an so gut geklappt hat, stand das Thema Autismus ohnehin nie im Mittelpunkt – es ist das Wesen eines Menschen selbst, so Manuela Müller, das bestimmt, ob das Miteinander klappt, nicht eine Diagnose.

Diese offene Herangehensweise hat dem Kollegium und Robin ermöglicht, sich gegenseitig kennenzulernen, Verständnis für einander zu entwickeln. Manuela Müller ist deshalb auch die Botschaft an andere Einsatzstellen wichtig, die Vorbehalte oder Sorgen gegenüber Interessierten im Auswahlprozess haben: „Ich kann nur empfehlen, irgendeine Diagnose erst einmal hinten an zu stellen und vorrangig den Menschen kennenzulernen. Dabei kann man erfahren, wo Stärken liegen und an welcher Stelle man die Person ins Team und die Arbeitsprozesse einbinden kann. Es gibt eigentlich für jeden Typ Mensch eine Tätigkeit, die er oder sie lieben kann und das muss man auch unterstützen, finde ich“, sagt sie überzeugt.

Und auch Robin findet, der beste Umgang ist die offene Kommunikation. In der Vergangenheit vermied er anfangs, gegenüber anderen das Thema zu erwähnen, empfand es aber auch als unangenehm, sich im Nachhinein zu offenbaren.

„Heute sage ich das direkt und biete an, Fragen zu stellen. Auch für mich ist das ein Lernprozess, in dem ich besser verstehe, wie das eigene Gehirn funktioniert und wie ich auf bestimmte Einflüsse reagiere. Ich war vor meinem Freiwilligendienst an einem Punkt, an dem ich wirklich nicht wusste, wie es weitergehen soll. Ich war in einem richtigen Vakuum, konnte nicht vor und zurück und wusste gar nicht, was ich machen soll. Das hat sich sehr auf meine Psyche ausgewirkt und in diesem Zustand bin ich auch zu Beginn hier aufgetreten. Und dann hat es hier einfach so wunderbar funktioniert.“

Manuela Müller ergänzt: „Es ist der Wahnsinn, wie er innerhalb kürzester Zeit so eine positive Entwicklung gemacht hat. Als wäre er ein ganz neuer Mensch geworden. Da haben wir hier im Haus wohl auch einiges richtig gemacht.“

Anfang Oktober beendete Robin nach der Höchstdauer von 24 Monaten seinen Freiwilligendienst. Dank des Einsatzes der Museumsleitung wird Robin dem Spielzeugmuseum erhalten bleiben, denn sein Freiwilligendienst ging nahtlos in eine Festanstellung über: „Es fühlt sich ein bisschen komisch an, den Freiwilligendienst hinter mir zu lassen und praktisch sofort im Berufsleben zu stehen, aber gleichzeitig ist mir auch alles vertraut, und ich habe zum ersten Mal seit Ewigkeiten das Gefühl, genau da zu sein, wo ich hingehöre.“