Nichts muss, alles kann
Tiba Abdulkareem und Clara Weise sind zwei der vier Freiwilligenvertreter*innen des aktuellen Jahrgangs des FSJ Kultur in Hamburg. Im Gespräch mit ihren Vorgänger*innen Sara Amadi, Emma Lieben-Seutter und Diana Valeeva geht es um Gründe für das Engagement, Erfolge, Ernüchterung und Pläne.
Frau Amadi, Frau Lieben-Seutter, Frau Valeeva, Frau Abdulkareem, Frau Weise, viele Menschen absolvieren ein FSJ Kultur, um sich für etwas zu engagieren – was waren Ihre Gründe?
Valeeva: Ich wollte nach dem Abitur nicht gleich studieren, sondern etwas Praktischeres machen und mich orientieren. Mich für etwas einzusetzen hat aber im Laufe des FSJ eine immer größere Rolle gespielt.
Lieben-Seutter: Engagement ist mir wichtig, ich habe während der Schulzeit in der Flüchtlingshilfe gearbeitet. Aber entscheidend war, dass ich etwas für das erste Jahr nach der Schule gesucht habe.
Amadi: Mir ging es zunächst auch mehr um Selbstfindung. Allerdings wusste ich schon, dass ich das FSJ bei einer politischen Einrichtung absolvieren möchte, so ist es die Rosa-Luxemburg-Stiftung geworden.
Abdulkareem: In der Schule habe ich Kindern mit Sprachdefiziten ehrenamtlich Nachhilfe gegeben und war Lesepatin. Mein treibendes Motiv für das FSJ war der Wunsch, der Allgemeinheit etwas zu geben.
Weise: Ich habe schon als Schülerin im Monsun-Theater gearbeitet und meine Chefin hat mich einfach gefragt, ob ich nicht ein FSJ Kultur bei ihnen machen möchte.
Zusätzlich zu Ihrem regulären Engagement im FSJ Kultur haben Sie sich zu Freiwilligenvertreter*innen Ihres jeweiligen Jahrgangs wählen lassen. Was hat Sie dazu motiviert?
Amadi: Die Wahl fand am Ende der ersten Seminarwoche statt, bei der ich die anderen aus meiner Gruppe sehr schätzen gelernt habe, das hat mir die Entscheidung leicht gemacht. Ich bringe mich gern für eine Gemeinschaft ein, ich war beispielsweise auch Schulsprecherin.
Abdulkareem: Ich hatte von Anfang an Lust auf das Amt. Ich finde es sinnvoll und befriedigend, die Wünsche aller FSJler*innen gegenüber Dritten zu vertreten und im Idealfall Seminare oder den Ablauf des ganzen FSJ entsprechend mitgestalten zu können.
Valeeva: Meine Einstellung zum FSJ war: Alles mitnehmen, was geht – also auch die Freiwilligenvertretung. Bei so einer tollen Gruppe wie unserer erst recht.
Weise: Ich war schockiert von mir selbst, dass ich für die Freiwilligenvertretung kandidiert habe, denn ich habe mich früher nie um Ämter wie Klassensprecherin beworben. Aber in der Seminarwoche habe ich gemerkt, wie wohl ich mich mit den Menschen aus meiner Gruppe fühle. Dass ich raus aus meiner Komfortzone und mich für sie einsetzen möchte. Und wir haben bei der Auftaktveranstaltung zum FSJ gehört, wie sehr sich unsere Vorgänger*innen ins Zeug gelegt haben. Das hat mich schwer beeindruckt und angespornt.
Lieben-Seutter: Wir haben aber einige Zeit gebraucht um zu verstehen, wo und wie wir etwas bewegen können. Dabei haben uns unter anderem Gespräche mit der LAG geholfen. Und dass wir als Vertreter*innen ein sehr gut eingespieltes Team wurden. Inhaltlich haben sich dann vier Themen herauskristallisiert, für die wir uns einsetzen wollten: Erhöhung des Taschengeldes und des Wohngeldes, Entbürokratisierung des FSJ und die Reduktion der Wochenstunden.
Amadi: Wir haben immer Rücksprache gehalten mit den anderen Freiwilligen. Für die meisten war eine geringere Stundenzahl das Hauptanliegen. Nicht einfach nur um mehr Freizeit zu haben, sondern auch um sich noch für andere Dinge engagieren zu können. Im Austausch mit der LAG hat sich anschließend gezeigt, dass es tatsächlich im Rahmen des gesetzlich Möglichen wäre, die Engagementzeit pro Woche in den Hamburger FSJ-Verträgen herunterzuschrauben.
Wie sind Sie dieses Ziel angegangen?
Lieben-Seutter: Wir haben Briefe an Politiker*innen geschickt, mit Trägereinrichtungen gesprochen, den Amtsleiter der Hamburger Kulturbehörde, Lokalpolitiker*innen und zwei Bundestagsabgeordnete getroffen, wir haben Interviews gegeben und an Diskussionsveranstaltungen teilgenommen. Am Ende haben wir es geschafft, dass die Wochenstunden im FSJ Kultur ab dem Jahrgang 2023/2024 verpflichtend auf 35 reduziert werden.
Valeeva: Es war ein tolles Gefühl, etwas bewirkt zu haben. Frust gab es bei diesem langwierigen Prozess aber auch, zum Beispiel haben die meisten der rund 50 Politiker*innen, die wir angeschrieben haben, nicht einmal geantwortet.
Was denken die jetzigen Freiwilli genvertreter*innen, wenn sie von diesen Mühen und Erfolgen hören?
Abdulkareem: Ich finde das inspirierend und freue mich auf den weiteren Austausch mit unseren Vorgänger*innen. Wir aus dem aktuellen Jahrgang möchten uns unter anderem für mehr gesellschaftliche Anerkennung engagieren, etwa in Form von vergünstigten Kulturangeboten oder kostenlosem ÖPNV.
Weise: Viel positives Feedback haben wir auch für die Idee bekommen, einen speziellen Eventkalender für die Freiwilligen einzurichten, in dem die Aufführungen, Ausstellungen und sonstigen spannenden Veranstaltungen unserer Einsatzstellen verzeichnet sind. Generell kann man als Freiwilligenvertreter*in so vieles anstoßen – und es ist okay, wenn am Ende nicht alles hundertprozentig klappt.
Das Interview ist als Beitrag im Magazin der LAG Kinder- und Jugendkultur e. V. erschienen und wird hier mit freundlicher Erlaubnis verwendet.
Quelle: kju Magazin, Ausgabe 73, Winter 2023