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Realitätscheck Arbeitswelt Kultur

von Lioba Gieles

Freiwilligendienste stehen bei vielen jungen Menschen zwischen Schule und späterem Beruf, sie sind aber eine besondere Station, die auch neue Weichen stellt. Das zeigt der Weg von Annina Hessel, die im Kulturbereich ihren beruflichen Schwerpunkt gefunden hat.

Dass die Freiwilligendienste Kultur und Bildung Ausgangspunkt eines ganzen Lebensweges sein können, das weiß Annina Hessel aus Berlin. Tatsächlich war sich Annina direkt nach der Schule 2012 sicher, im Kulturbereich tätig werden zu wollen. Durch ein Schulprojekt konnte sie ein halbes Jahr im Konzerthaus Berlin „ein- und ausgehen“ und sah in Konzerthäusern und Theatern ihren „Wohlfühlort“. 

Wie Annina dann auf das FSJ Kultur aufmerksam wurde, kann sie gar nicht genau sagen: „Ich wusste irgendwie, dass es das gibt.“ Zu dem Zeitpunkt konnte kein Studiengang sie so richtig überzeugen – die Entscheidung fiel auf den Freiwilligendienst. Deutschlandweit bewarb sich Annina bei Einsatzstellen und war am Ende überglücklich, mit dem Freiwilligendienst in der Öffentlichkeitsarbeit in der Philharmonie Jena im September 2012 starten zu können. Während ihres Freiwilligendienstes konnte sie „Büroluft schnuppern“ und erste Einblicke in den Arbeitsalltag im Kulturbereich werfen – etwas, was sie jungen Menschen vor der Entscheidung für einen beruflichen Weg unbedingt empfiehlt. Unvergesslich waren für sie auch die Momente, als ihre ersten Texte für die Philharmonie veröffentlicht wurden oder als sie im Konzert neben dem Organisten sitzen und die Register der Orgel bedienen durfte.

Die teils künstlerischen Workshops, die die LKJ Thüringen in Seminaren begleitend zum FSJ anbot, haben nochmal ganz andere Perspektiven geweitet. Annina konnte erfahren „wie schön und erfüllend es sein kann, etwas eigenes auf einer Bühne zu präsentieren. Besonders bei meinem Poetry Slam Text war ich sehr nervös und hab ihn ganz viel geübt, aber hinterher war ich auch sehr froh und hab ganz tolles Feedback bekommen.“ Und welches Fazit zieht Annina daraus: „Dass es sich lohnt viel Herzblut in etwas zu investieren und sich ein stückweit zu öffnen, weil andere das merken, wertschätzen und auch etwas davon mitnehmen können.“

Die Seminare haben Annina nicht nur persönlich gestärkt. Hier wurde sie auf ihren späteren Studiengang Philosophie – Künste – Medien in Hildesheim aufmerksam. Ein Pluspunkt: Dort wurde ihr der Freiwilligendienst zudem als Praktikum angerechnet.

Vom Freiwilligendienst in den Hauptberuf

War der Freiwilligendienst der Türöffner in den Kulturbereich, so brachte Annina das Bachelor-Studium einen noch tieferen Einblick, zeigte ihr vor allem auch, mit welchen Menschen sie es dort zu tun hatte. Auf dem „wunderschönen Kulturcampus“ fühlte sie sich einfach wohl. Die Praxiserfahrungen holte sie sich über ein Praktikum im Jugendmedienzentrum connect in Fürth. Auch danach arbeitete sie einige Jahre freiberuflich im connect und gab neben dem Masterstudium unter anderem Trickfilm- oder Videobearbeitungsworkshops. Vieles aus ihren bisherigen Stationen ist nun zusammengeflossen: Zuletzt war Annina für die Kampagne „Machmamit! – Finde, was deins ist“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung tätig. Vernetzung von Orten Kultureller Bildung sowie Überlegungen für eine jugendgerechte Website, die junge Menschen tatsächlich anspricht, standen dabei im Vordergrund.

„Praxisluft schnuppern“ vor der Berufsentscheidung ist das A und O

Was nahm Annina aus ihren Erfahrungen im Freiwilligendienst auf ihren Berufsweg mit? Sie konnte zunächst wichtige Kontakte knüpfen: „Die besten und nettesten Menschen arbeiten im Kulturbereich“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Außerdem hat sie „die eigenen Stärken und Vorlieben besser kennengelernt und auch, wie ich vielleicht nicht arbeiten möchte. Ich habe einfach sehr viele wichtige Erfahrungen gesammelt. Wenn man erst nach dem Studium feststellt, dass einem der Bereich nicht taugt, ist das ungünstig.“ Somit sind ihre Ratschläge für zukünftige Freiwillige* oder Interessierte am Berufsfeld Kultur eigentlich klar: „Vor dem Studium ein wenig Praxisluft schnuppern, ist immer sinnvoll.“ Aber es gebe natürlich auch andere Möglichkeiten: einen „Nebenjob in einer Kultureinrichtung“ machen, sei eine gute Möglichkeit für den „Realitätscheck Arbeitswelt Kultur“.

Was Kunst und Kulturelle Bildung am meisten brauchen, ist eine starke Lobby

Auch wenn Annina ihre Entscheidung zum Freiwilligendienst und für den Kulturbereich nie bereut hat, wünscht sie sich einige Veränderungen, vor allem eine bessere Lobby für Künstler*innen. Denn Kunst und Kultur, aber besonders die Menschen, die in der Branche arbeiten, müssen angemessen bezahlt werden.

In den Kulturpolitik-Seminaren an der Uni hat sie immer wieder gehört, wie wichtig Kulturpolitik sei. Gleichzeitig waren viele ihrer Kommiliton*innen vor allem an „ihrer Kunst“ interessiert und hatten „mit Zahlen und Politik nichts am Hut“. Hier gebe es seit jeher ein Dilemma. Umso zufriedener ist Annina, in ihrem jetzigen Job im Kampagnenteam beides miteinander verknüpfen zu können: „Einerseits ist natürlich Kreativität gefragt, ich kann immer noch schreiben und Ideen entwickeln und andererseits hat die BKJ als Verband deutlich mehr Einfluss auf die Politik und kann Dinge verändern. Nicht nur für die Kultur, sondern auch für Kinder und Jugendliche. Das ist mir selbstverständlich genauso ein Anliegen.“

Vom Schülerprojekt über FSJ und Praktika bis zu Studium und Berufserfahrungen: „Wie eine Linie“, die sich durch ihr bisheriges Leben zieht, beschreibt Annina ihren Weg in die Kulturwelt. Eine Linie mit dem richtungsweisenden Ausgangspunkt Freiwilligendienst: Sie konnte hier früh lernen, wie wichtig es ist, angebotene Kontakte und Möglichkeiten auszureizen und ohne Zögern zu nutzen. Für Annina bewies sich der Freiwilligendienst als exzellentes Sprungbrett ins Berufsleben.